Flüchtigkeit als Basis – Manipulation als Ziel

Gedanken zu neuen Rattenfängern à la Musk, Trump

‚Im Radio wird durchgegeben, dass ein Geisterfahrer auf der Autobahn zwischen den Abfahrten … und … unterwegs sei. Die auf dem Abschnitt fahrenden Verkehrsteilnehmer (!) werden aufgefordert, möglichst rechts zu fahren und besonders aufmerksam zu sein. Nur einer fragt sich: Ein Geisterfahrer? Alle!‘ In Gesellschaften der Flüchtigkeiten, der Kontingenzen, die von exorbitant beschleunigten parallelisierten Informationen getragen werden, so dass kaum eine tiefschürfende kollektive Meinung entstehen kann, lässt sich der Geisterfahrer mit dem Schwarz-Weiß-Denken der Fake News als einzig richtige Antwort komponieren.   

Noch hält sich die Mehrheit an demokratische Regeln, auch wenn sie zwischen Individualität und Kollektivität schon beträchtlich bröckelt. Die Geisterfahrer leben die Kollision. Das große Ganze spielt spielt für sie keine Rolle mehr. Der Widerspruch wird zum Gottesbeweis. Menschen streiten sich um Inseln, wie Rentenversicherung, Corona, Klima etc., die gezielt und gewollt uns fein voneinander getrennt beschäftigen, anstatt eine Hierarchisierung von Problemen vorzunehmen. Klima und Menschenrechte müssten das Ziel einer jeglichen Hierarchisierung sein. Damit soll das einzelne Thema, wenn es denn fundiert diskutiert wird, nicht verdrängt sein, sondern seine gesamtgesellschaftlichen Implementationsbedingungen müssen ebenso bedacht werden. Wenn die Frage des Klimas und ein deutlich umfassenderes Verständnis der Menschenrechte nicht ganz oben stehen, werden wir die Wucht von menschengemachten Katastrophen täglich begrüßen dürfen. Hingegen verhindert die Überdifferenzierung eines Mosaiksteins (z.B. Wirtschaft), ohne die großen offenen Puzzles im Blick zu haben, eine Lösung der eigentlichen Probleme. Das Problem als Ganzes gehört mit einem definierten Ziel nach dem systemischen Ansatz in das Zentrum. Der drohende Klimawandel und erweiterte Menschenrechte müssten nicht nur eine generelle Prüfaufgabe im politischen und wirtschaftlichen Geschehen sein, sondern ein Tabu verkörpern, wenn ethische Voraussetzungen verletzt werden. Offen ist derzeit jedoch, wer diese Bedingungen definiert und wer sie anerkennt. Das Wissen um negative Nebenfolgen gewänne in diesem Prozess an zentraler Bedeutung, denn vieles, was konsumgerecht schillert, verlöre darüber seinen Glanz.

Gezielte Manipulationen, die über die Sozialen Medien vorgenommen werden, zerstören derzeit gehörige Teile einer denkbaren Lösung, nämlich dort, wo ökonomische, politische und meinungsbildende Macht Zahn in Zahn funktionieren. Dennoch geben viele dieser Apologeten des Fortschritts vor, der Demokratie zu dienen, obwohl sie der eindimensionalen Logik des Deals folgen und demokatische Werte gezielt torpedieren. Betriebswirtschaftslehre ohne Moral und Ethik heißt deren Lösung, die despotisch regiert wird. Elon Musk bildet derzeit im Fahrwasser von Trump einen Supermann der egozentrischen Interessen ab und sieht sich als Messias. Trump lehnt sich gen Grönland aus dem Fenster, lebt Expansionsgenüsse. Kompensierend für die eignen Ausgaben will er Verteidigungsetats der Verbündeten erhöht sehen, auch Importzölle für die US-Wirtschaft steigern. „America First“, lautet sein Credo für den großen Deal. De facto aber ist er ein egomanischer Möchte-Gern-Diktator des gewonnenen Deals der Zusammenstöße evoziert, die letztlich für ihn und seine Follower nur Kollateralschäden sind. Er kassiert die Masse ab, erweist sich als genialer Menschenfänger, der seinen Despotismus geschickt kaschiert und die Ratten einfängt, bevor sie Zähne bekommen. Anders kann nicht erklärt werden, warum Zuckerbergs Meta den „Freiheiten“ von Musks X folgt, indem Meta den Faktencheck eliminiert. Indien, Großbritannien oder Deutschland mit der EU wanken bereits. Können sie X und Meta an die Kette legen oder steht der vorauseilende Gehorsam gegenüber der Trump-Musk-Administration über den Werten der eigenen Demokratievorstellungen? Sukzessiv haben die Social Media-Kanoniere Musk und Trump, als demokratisch meinungsbildende Kraft nach eigenem Verständnis angetreten, die klassische Demokratie schon lange ausgehebelt. Sie spielen mit uns Karneval. Wir dürfen der Obrigkeit sagen, was wir wollen, wenn wir die richtige Kleidung tragen oder nur die Meinung wird akzeptiert, die in das manipulative Schema passt. Die ökonomische und politische Macht durch die Digitalisierung, den sich wenige große Akteure teilen, schlägt die klassisch demokratische Verfasstheit der Staaten in Splitter. Wahlen werden durch ‚feindliche‘ wie befreundete Staaten und Social Media in anderen Staaten gezielt von „rechts und links“ torpediert, so dass derzeit gezielt rechte Gruppierungen gefördert werden und profitieren. In der Gesellschaft der Flüchtigkeit ist nicht viel sicher. Prognostiziert kann jedoch weiterhin werden, dass die Nebenfolgen des heutigen Wirtschaftens und politischen Handelns im Gegensatz zum monetären oder politischen Erfolg weiterhin sozialisiert werden. Beispiel Internet: Die Digitalisierung produziert gigantische CO2-Mengen und fördert exorbitant kriminelle Energien wie auch die fahrlässige Unterstützung aller Formen von Gewalt gegen Menschen und Sachen. Hat der Segen gegen den Fluch eine Chance?

Der Sozialphilosoph Herbert Marcuse schuf mit dem „Eindimensionalen Menschen“ (1964) eine fundamentale Kritik an der Bedürfnismanipulation des Kapitalismus, der stetig und immer weiter Menschen einfange und abhängig mache. Damit werden sie von ihren Primärbedürfnissen (s.a. Erich Fromm) emotional überschrieben, weggelenkt, entfernt und enteignet. Dieser Gedanke findet sich noch dramatischer in der postindustriellen Welt wieder, doch auf einer gewandelten Basis und Dynamik. Die Unüberschaubarkeit (Günther Anders), die Beschleunigung (Hartmut Rosa), die Verschiebung der Wertbasis (Thomas Metzinger), die gleichzeitige Ungleichzeitigkeit (Ernst Bloch), der Verlust solidarischer Werte mit dem Kampf um Anerkennung (Axel Honneth), die Steigerung der Intensität (Tristan Garcia), das Beispiellose in der Digitalisierung (Shoshana Zuboff), das Ende linearer wissenschaftlicher Erkenntnis (Ulrich Beck) die Hyperpolitik mit zukunftslosen Trading-Algorithmen (Anton Jäger), ein mangelndes Bewusstsein der Moderne zu Widersprüchen und Paradoxien als Verlust im Fortschritt (Andreas Reckwitz) und vieles mehr förderten und fördern eine Reduktion auf betriebswirtschaftliche Ichbezüglichkeit von Unternehmen ungeheuren Ausmaßes und enteignen Individuen eines großen Teils ihrer Fähigkeiten.

Das Leben im individuellen Regiestuhl (Heiner Keupp), das Individuen in der Risikogesellschaft (Günther Anders, Ulrich Beck) angestrebt haben, gleicht zunehmend dem einer Marionette. Die Frage, die bleibt, hängt an der Haltbarkeit und Zahl der Fäden oder dem bestehenden Polster. Die demokratietheoretisch geforderte Eigenverantwortung und Mitbestimmung von Individuen sieht anders aus. Die Idee einer anderen Politik der „Verlierer*innen des Deals“ hängt in der Luft, weil der Sinn eines politischen Engagements ohnehin subjektiv nichts bringen mag oder ohne eigenes Engagement sich nichts in der gewünschten Richtung ändern kann. Trumpist*innen und andere laufen dem Deal freudig hinterher und merken nicht, dass auch sie verlieren. In einer Zeit, in der Algorithmen Geschichte schreiben, die die systemischen Prozesse Luhmannscher Prägung weiter ausfeilen, findet sich das Subjekt entfremdet und enteignet wieder, ohne es in großer Zahl zu merken. Die Rückeroberung des Systems durch kollektive Subjekte, die sich in Parteien, sozialen Bewegungen oder Russell-Tribunalen (in der Aktualität: s. Milo Rau, Kongo Tribunal 2015) bilden können, gehört auf die Agenda, um ökonomische Prozesse ihrer reinen materiellen wie personalen Selbstbezüglichkeit zu berauben.

Die heutige Unübersichtlichkeit erfordert in einem neuen Prozess ungemein viele offene Fragen anzugehen, ohne zunächst eine Antwort zu bekommen, außer dass Ambiguitäten zunehmen. Das aber wollen und können viele Menschen nicht wahrhaben und gehen dabei den rechtsradikalen Gruppierungen auf den Leim. Schwarz-Weiß-Denken bildet die Antwort auf die Flüchtigkeit des Seins: ‚Nepper, Schlepper, Bauernfänger‘. Ideologische und materielle Verheißungen „fixen“ sie an. Eine hohle Konstante, die letztlich das Denken abnimmt. Nicht nur das ökonomische System bildet das Problem, sondern ebenso die Idee der Demokratie, die über ihre Theorie hinaus strapaziert wird. Durch das Wiederemporkommen einer neuen radikalen Rechten werden systemische Bestandteile der Demokratie ausgehebelt. Nicht nur in Österreich steht eine vom Wahlvolk ermöglichte rechtsradikal konservative Koalition vor der Tür. U.a. in Ungarn, Italien, wahrscheinlich bald in Frankreich, auch Deutschland könnte in vier Jahren kippen, streben bekennend rechtsradikale Kräfte an die Macht oder zum Machterhalt. De facto sind sie demokratisch dorthin gekommen, weil sie gegenüber der breiten Bevölkerung mit populistischen Momenten für das Nationale strunzen. Während dieser Phase der Machtgewinnung lebten die alten Demokrat*innen, um pointiert zu formulieren, in ihren hedonistischen Nischen, ohne wahrhaben zu wollen, dass ihr politisches Verhalten und Verständnis gehörige Teile dazu beigetragen haben, dass Aufkommen der extremen Rechten zu ermöglichen.  Im Ensemble der Etablierung von rechten und extrem rechten Parteien in Europa sollte Russlands Diktator Putin nicht vergessen werden, der fleißig via Social Media an einer Etablierung der Rechten – in der Regel via Fake News – mitmischt.

In diesem kurzen Abriss finden sich alte Quellen, die in der aktuellen Diskussion kaum vorkommen. Sie gar als überholt gelten. Diese Quellen besitzen nach wie vor analytische Stärke, die allerdings historischer wie transitorischer Anpassungen an die jeweiligen gesellschaftlichen Strukturen bedarf. Sie werden in Diskussionen oft kritisiert: ‚Hör‘ doch auf, diese ollen Kamellen, bleibe in der Gegenwart. Ich kann das nicht mehr hören.‘ Einerseits sollten wir aus der Geschichte lernen, doch andererseits sehen, dass sie keine Blaupause für heute darstellt. Menschliche Erfahrung ist übrigens nichts Anderes als ein Schöpfen aus der Vergangenheit. Wenn Denken mit Nachdenken grundsätzlich schädlich wird, degenerieren Gedanken zum geistigen Deal, einer Vereinfachung und Verinselung einer humanistischen Tradition. Denken, beraubt um das Nachdenken, kennt nur das eindimensionale „Weiter-So“. Das Weiter-So mit brachialer Gewalt der Steigerung und Modifizierung des Alten steht vor der Tür, ist gar schon über die Türschwelle hinaus. Das irrationale Moment von Macht der Musks und Trumps wird auf der Grundlage des Heute der Totengräber von Morgen. Diese zerstörerische Kraft bringt mit ihrem noch demokratisch kaschierten Despotismus komatöse Gesellschaften hervorbringt. Viele Menschen schwimmen – nicht überraschend – beglückt mit. Andere Leben mit Ambiguitäten, verherrlichen den Lehnstuhl oder … wie war das mit dem Geisterfahrer?

„Es rettet uns kein höh’res Wesen,
Kein Gott, kein Kaiser noch Tribun
Uns aus dem Elend zu erlösen
Können wir nur selber tun!“

(Die Internationale, Auszug 2. Strophe)

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